Islamische Theologie


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Summer School 2016: Islamische Geschichte und Kultur in Sizilien und im europäischen Mittelmeerraum

Catania/Palermo (22. - 29.03.2016)

In Kooperation mit der

Sizilien – Eine vergessene Insel der Toleranz

Bericht über die Summer School 2016 des Instituts für Islamische Theologie Osnabrück von Martin H. Jung

Sizilien ist kein erstrangiges Ziel für Urlaubsaufenthalte und Studienreisen, Sizilien ist auch kein erstrangiges Thema für Historiker, Religionsgeschichtler und Kirchenhistoriker. Aber Sizilien hat Letzteren erstaunlich viel zu bieten, denn im Mittelalter lebten hier Christen, Juden und Moslems.

Mit dem vorrangigen Interesse an der Geschichte und Gegenwart des Islams in seinen kulturellen und religiösen Kontexten auf der Insel besuchten im März 2016 im Rahmen einer Summer School des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück 36 Studierende und 22 Dozierende, darunter auch Dozierende der Evangelischen und der Katholischen Theologie, Sizilien und absolvierten ein ambitioniertes Besichtigungs- und Studienprogramm, das begleitet war von einem intensiven interreligiösen Austausch. Sizilien hat eine komplizierte Geschichte. Dies hing damit zusammen, dass Sizilien an einer Seehandelsroute lag, die Rom mit dem Orient verband. Um mit der Spätantike zu beginnen: 440 wurde die Insel von den Vandalen erobert, 493 kamen die Ostgoten, 535 fasste Byzanz (wieder) Fuß. Besonders interessant aber ist die 827 beginnende islamische Periode, die bis ins 11. Jahrhundert währte. Die arabischen Eroberer siedelten Berber aus Nordafrika an, schufen eine vorbildliche Verwaltung mit einem gerechten Steuersystem und bauten Moscheen und Schlösser. Sie brachten der Insel auch ein Bewässerungssystem für die Landwirtschaft, das sich bis in die Gegenwart erhalten hat. Um das Jahr 1000 soll es, so berichten Reisende, in Palermo 200 Moscheen gegeben haben.

1060 kamen die Normannen und damit wieder christliche Herrscher, die sich aber in vielem an die etablierte arabisch-moslemische Kultur anpassten. 1194 fiel Sizilien, zu dem in dieser Zeit auch ganz Süditalien gehörte, an die Staufer. 1208 übernahm Friedrich II. die Herrschaft, der von 1215 an auch deutscher König war. Seine bis 1250 währende Herrschaft schenkte der Insel eine weitere Blütephase. Friedrich II. war ein gebildeter Kaiser, der auch selbst dichtete und Bücher schrieb, der mit der Gründung der Universität Neapel 1224 auch ein Stück europäische Bildungsgeschichte schrieb und der, wie die sizilianischen Herrscher zuvor, weiter religiöse Toleranz praktizierte, das heißt Juden wie Moslems tolerierte und sie ihre Religion praktizieren ließ. An seinem Hof verkehrten jüdische und arabische Gelehrte. Allerdings kam es unter ihm auch unter nicht völlig geklärten Umständen zu einer Zwangsumsiedlung von Muslimen nach Apulien. Von 1266 an beherrschten Franzosen die Insel und von 1282 an Spanien. Die spanische Periode, zu der nun auch Intoleranz, Inquisition und Judenvertreibung gehörten, dauerte bis 1712. Von 1734 bis 1860 stand Sizilien wieder unter französischer Herrschaft. 1861 wurde es Teil Italiens. Die Insel, auf der rund fünf Millionen Menschen leben, ist heute durch und durch katholisch geprägt. Die evangelischen Konfessionen sind durch Waldenser, Anglikaner und Pfingstgemeinden vertreten mit insgesamt etwa 70.000 Mitgliedern. Jüdische Gemeinden gibt es keine mehr. Die aktuell in Sizilien lebende Zahl von Moslems, von unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichem Status, lässt sich nur schätzen; sie dürfte wahrscheinlich sechsstellig sein.

Aus der spannenden Geschichte und Religionsgeschichte der Insel gibt es heute noch mehr zu sehen, als was man erwarten könnte, vor allem in Palermo, der heutigen Inselhauptstadt, die erstmals von den Arabern zur Hauptstadt der Insel gemacht worden war. Von der einst blühenden, Ende des 15. Jahrhunderts untergegangenen  jüdischen Gemeinde zeugt noch das ehemalige jüdischer Viertel, in dem Straßenschilder dreisprachig – italienisch, arabisch, hebräisch – gestaltet sind. Ein jüdisches Ritualbad hat sich dort ebenfalls erhalten. Für die Wiederentdeckung der jüdischen Geschichte der Stadt hat sich der langjährige Bürgermeister, Leoluca Orlando, Verdienste erworben.

Der Dom von Palermo, erbaut im 12. Jahrhundert, ist mit seinen Zinnen und Spitzgiebeln von arabischer Architektur geprägt. Neben dem Hauptportal ist auf einer Säule der Vorhalle in arabischer Sprache ein Vers aus der 7. Sure des Korans angebracht, ein Überbleibsel aus dem Vorgängerbau, einer Moschee, das die christlichen Bauherren ganz bewusst, weil mit dem christlichen Glauben harmonierend, hier angebracht haben. Friedrich II. liegt im Dom von Palermo begraben, in der Stadt, wo er seine Kindheit verbracht hatte. Besonders eindrücklich ist die im 12. Jahrhundert von den Normannen erbaute Palastkapelle von Palermo mit ihren von arabisch-moslemischen Künstlern geschaffenen Mosaiken, ein Weltkulturerbe. In ihr verbinden sich jüdische, moslemische, orthodox-christliche und katholisch-christliche Traditionen. Auch eine dreisprachige Inschrift – lateinisch, griechisch, arabisch – zeugt von dem fortdauernden Miteinander der Religionen und Kulturen unter den christlichen Normannenherrschern

In Catania hat sich als Folge eines Vulkanausbruchs im Jahre 1693 weniger aus der Zeit des Mittelalters erhalten. Die Bauwerke der Stadt zeugen in erster Linie vom neuzeitlichen Katholizismus, darunter ein ehemaliges Benediktinerkloster, das außen wie innen mehr einem Schloss gleicht als einer Herberge für Mönche. Aus dem Mittelalter erhalten haben sich noch Bauwerke Friedrichs II.
Ferner wurde Enna besucht, im Zentrum der Insel und auf 1000 Meter Höhe gelegen. Gegenüber von Enna, ebenfalls hoch gelegen, war Calascibetta zu sehen, eine Stadt, deren Name noch heute von ihrem arabischen Ursprung (Kalat Scibet) zeugt. Nur wenig von Enna entfernt liegt die berühmte römische Palastvilla Villa Casale, erbaut um 300, mit ihren prächtigen und riesigen (3500 m2) Fußbodenmosaiken, geschaffen von nordafrikanischen Künstlern. Bauwerke der griechischen und römischen Antike, Tempel, Grabanlagen und Amphitheater, teilweise aus vorchristlicher Zeit, konnten auch in Syrakus bestaunt werden, dem ehemaligen sizilianischen Herrschaftszentrum der Byzantiner. Den Teilnehmern der Summer School wurden diese Sehenswürdigkeiten der Insel durch kompetente einheimische Führer nahe gebracht, die sich auch auf die besonderen thematischen Interessen der Reisegruppe einstellten. So machte die Stadtführung in Palermo auch an der Waldenserkirche halt. Für die notwendigen geschichtlichen und theologischen Vertiefungen sorgten die Dozierenden und Studierenden selbst, die sich auf Einzelthemen vorbereitet hatten und diese in kompakte Seminareinheiten einbrachten. Behandelt wurde zunächst Sizilien unter muslimischer Herrschaft unter folgenden Aspekten: Eroberung Siziliens, muslimische Dynastien in Sizilien, Pluralität unter muslimischer Herrschaft (sprachliche, religiöse, kulturelle Vielfalt), die Blütezeit unter muslimischer Herrschaft (Handel, Kunst, Kultur, Landwirtschaft, Wissenschaften, etc.), die Rückeroberung durch die Normannen 1061-1089.

In einem zweiten Seminarblock wurde die Situation der Muslime unter christlicher Herrschaft (1091-1300) thematisiert. Dabei wurden folgende Aspekte näher beleuchtet: der Einfluss der Staufer auf Sizilien; Muslime, Juden und Christen (orthodoxe und katholische) unter christlicher Herrschaft 1086-1250; die Anfänge der normannischen Herrschaft ab 1061 bis einschließlich Roger II.; Muslime als Minderheit unter der christlichen Herrschaft in Sizilien; die Zwangsumsiedlung der Muslime nach Apulien zwischen 1220 und 1250 durch Friedrich II.; die Vertreibung der Muslime aus Lucera im Jahre 1300 (Gründe, Hintergründe und Folgen). Ferner kamen verschiedene Reiseberichte muslimischer Reisender zur Sprache, und zwar die Berichte von Ibn Ḥawqal, Ibn Ǧubair, Yūsuf al-Aṣmaʿī. Eine weitere Seminareinheit befasste sich mit Poesie, Kunst und Kultur. Dabei wurden Ibn Hamdis und die arabische Poesie in Sizilien thematisiert, eine Einführung in die islamische Kunst und Architektur Siziliens gegeben sowie Ibn Sabʿīn und die “sizilianischen Fragen” Friedrichs II. behandelt. Friedrich II. und der Islam war eine letzte größere Seminareinheit mit folgenden Einzelthemen: Friedrichs Verhältnis zu den Muslimen im eigenen Reich, Friedrichs Persönlichkeit und Biographie (Aufklärer oder Pragmatiker?) sowie Sizilien als Ort des Wissenstransfers zwischen Ost und West. Viele Vorträge machten noch einmal deutlich, dass Sizilien vom 9. bis ins 15. Jahrhundert unter moslemischer wie christlicher Herrschaft eine Insel – im doppelten Wortsinn –- der religiösen und kulturellen Toleranz war, vergleichbar mit Spanien, in einem immer intoleranter werdenden Europa.

Ahmad Krausen berichtete mit vielen eigenen Bildern über Moscheen in Sizilien und Süditalien und auf einem Podium sprachen Avni Altiner, Dr. Winfried Verburg, Prof. Dr. Andreas Kubik-Boltres und Prof. Dr. Habib El Mallouki unter Leitung von Dr. Michael Kiefer über die Bedeutung der interreligiösen Zusammenarbeit heute und in der Praxis. Abgerundet wurde das Programm durch mehrfache direkte Begegnungen mit der heutigen Religionskultur der Insel. Dazu gehörten Besuche und Gespräche in den Moscheen von Catania und Palermo. Einen besonderen Eindruck machte die neu eingerichtete, in einem ehemaligen Theater untergebrachte Moschee von Catania, unweit des Doms. Die heutige moslemische Bevölkerung Siziliens besteht vor allem aus Einwanderern aus Nordafrika, die auch im Stadtbild ins Auge fallen. Neben Geschäften mit Produkten aus Nordafrika gibt es auch eine ganze Reihe arabischer Restaurants. Ebenso intensiv waren die Begegnungen mit der heutigen katholischen Religionskultur der Insel, und zwar nicht nur, weil selbstverständlich immer wieder Kirchen auf dem Besuchsprogramm standen, sondern auch, weil die Reise über Ostern stattfand und es so der Gruppe möglich war, die eindrucksvollen, stundenlangen Karfreitagsprozessionen zu beobachten. Besonders zum Nachdenken gab Anlass, dass dabei die trauernde Maria, nicht der gekreuzigte Jesus im Vordergrund stand. In Sizilien herrscht, was man auch in den Kirchen beobachten kann, eine ganz intensive Marienfrömmigkeit. Beinahe könnte man sagen: Die Sizilianer glauben an Maria – nicht wirklich an Jesus. Als Gesamtfazit aber lässt sich festhalten: Sizilien zeugt bei näherer Betrachtung wie Spanien von einem vergessenen Stück Islam in Europa, bezeugt, dass hier der Islam schon einmal zu Europa gehörte und europäische Geschichte und Kultur nachhaltig beeinflusste.